Aktionen aus dem Bernsteinwald

Aktionen im Bernstein sind die begehrtesten Sammelobjekte unter Inklusensammlern, denn sie sind nicht nur interessant, sondern auch selten.

Siehe dazu auch die Neuerscheinung eines sensationellen Buches:
Wasserinsekten im Baltischen Bernstein - ausführliche Beschreibung unter Tipp 19 (Literaturneuerscheinungen) oder unter Aktuelles!


Zunächst eine Übersicht (natürlich nur Beispiele, kein Anspruch auf Vollständigkeit), danach folgen Bilder und Erläuterungen.
1. Parasitismus
1.1. Milbe am Wirt
1.2. Nematoden an/im Wirt
1.3. parasitische Larven
2. Transportbeziehungen (Phoresie)
3. Schildlaus versprüht Wachsfäden
4. Ameisen verbeißen sich
5. Ameise trägt Gras
6. Ameisenfraß
7. Eierlegende Insekten
8. Insekten geben Kot ab
9. Schlupfvorgänge
10. Lausmutter gebärt Junge
11. Bohrloch eines Rüsslers
12. Symbiosen

1. Parasitismus: ein Schmarotzer lebt zeitweise oder dauernd in oder an einem Wirt und ernährt sich von ihm, ohne ihn zu töten.
1.1. Normalerweise ist der Parasit wesentlich kleiner als der Wirt. Da kann man nur staunen, dass diese Langbeinfliege gleich zwei so große Milben tragen und noch fliegen konnte.


1.2. Das Gewicht dieses Nematoden muss wohl das Gewicht der Zuckmücke erreicht haben!! Im Todeskampf hat der große Nematode die Mücke verlassen.
Das andere Bild zeigt viele winzige Nematoden an der Stelzmücke


1.3. Einige Larven oder z.B. die Weibchen der Fächerflügler (Strepsiptera) leben in Käfern, nur eine kleine Ausstülpung zwischen den Segmenten verrät den Parasiten.


2. Phoresie = Transportbeziehung: wird leicht mit Parasitismus verwechselt und manchmal ist es auch unklar, ob z.B. eine Milbe sich nur transportieren lässt oder parasitiert. Junge Milben, die sog. Wandernymphen, halten sich gerne an Insekten fest, um sich zu geeigneten Nahrungsquellen transportieren zu lassen.
Diese Pseudoskorpione an der Stelzmücke bzw. der Langbeinfliege zeigen aber gewiss eine echte Phoresie:


3. Hier ein Schildlausmännchen (nur die Männchen sind geflügelt), dass gerade aus seiner Wachsdrüse am Hinterleibsende feine Wachsfäden versprüht hat. Einige Arten benutzen den Wachs, um zusammen mit Kot, Pflanzenteilchen usw. einen Schutz zur Tarnung zu bauen. Einige benutzen es zur Abwehr, wie wahrscheinlich in diesem Falle. Doch sich gegen das Harz zu wehren, war für diese Schildlaus vergeblich. Ein schönes Aktionsstück:


4. "Ameisenkämpfe" habe ich schon einige im Bernstein gesehen. Entweder beißt eine Ameise der anderen ins Bein oder sogar das Bein oder den Kopf ab, machmal sind beide ineinander verbissen. Hier kneift die eine Ameise der anderen in den Fühler. Das ist sicher in Wirklichkeit kein Kampf gewesen, sondern ein verzweifelter Rettungsversuch im Harz - an irgendetwas festhalten.


5. Eine Ameise trägt ein Stückchen Gras, wahrscheinlich auf dem Weg zurück zum Nest vom Harz überrascht. In seltenen Fällen findet man sogar Ameisen, die ihre Larve in den Kieferzangen tragen.


6. Häufig findet man angefressene/ausgefressene Insekten im Bernstein. Anfangs glaubte man sogar an Vögel, die das Harz absuchten, um Nahrung abzupicken.
Viel logischer: es waren die im Wald an Baumstämmen allgegenwärtigen Ameisen, die vielleicht sogar systematisch die angetrockneten Harzflächen absuchten, um dort gefangene Insekten auszufressen - speziell dort, wo sich die Flugmuskulatur befand.
Hier ein Beleg: eine Ameise ist auf frischer Tat beim Ausfressen eines Laufkäfers ertappt und im Harz eingeschlossen worden - sie ragt mit ihrem Vorderteil aus dem Laufkäfer heraus, dem der Kopf fehlt. Der zweite Beleg zeigt eine am Rücken stark ausgefressene Köcherfliege.


7. Eiablage: warum findet man zwar selten, aber nicht als Rarität einzustufen, Insekten im Bernstein, die gerade ihre Eier ablegten?
Sicher sahen sie das Harz nicht als geeignetes Medium dafür an, sondern reagierten "in Panik" und pressten vor dem Sterben noch ihre Eier aus dem Körper.
Hier seltene Belege: ein Buntkäfer mit Eiern, eine Pilzmücke mit Eiern (die Eioberflächenstruktur toll zu sehen) und ein Pseudoskorpion, der auf der Bauchseite seine Eier trägt (absolute Rarität!). Das zweite Bild zeigt eine Tanzfliege, die eine Riesenmenge Eier abgelegt hat - das die alle in die kleine Fliege hineingepasst haben!!



8. Auch die Kotabgabe ist sicher als "Panikreaktion" der ins Harz gefallenen Insekten anzusehen:
Hier eine Kurzfühlerschrecke (nur wenige Exemplare im Baltischen Bernstein bekannt!) und ein Felsenspringer bei der Kotabgabe.


9. Ganz besondere highlights und als Superraritäten einzustufen sind fossile Belege eines Schlupfvorganges. Manchmal findet man neben der leeren Puppenhülle das ausgeschlüpfte Insekt, manchmal steckt es noch halb in der Exuvie (Häutungshülle). Hier ein Riesenuferbold (Plecoptera), der hinten noch die Puppenhülle zeigt, vorne schon geschlüpft ist, die Flügel aber noch eng angelegt.
Das zweite Bild zeigt eine Gnitze und eine Pfriemenmücke beim Schlupfvorgang.


Weitere, noch sensationellere Schlupfvorgänge, z.B. von Libellen (!), Eintagsfliegen und Steinfliegen finden Sie in dem o.g. neuerschienen Buch über Wasserinsekten.

10. Läuse pflanzen sich zur Massenvermehrung in der günstigen Jahreszeit durch Parthenogenese (Jungfernzeugung) fort, d.h. nicht befruchtete Eier entwickeln sich zu Jungläusen, die lebend geboren werden.
Findet man eine große Mutterlaus mit verschieden großen Jungläusen in einem Bernstein, vielleicht sogar die Mutterlaus, die gerade am gebären ist, dann sind das ganz besondere Aktionsraritäten.
Hier eine geflügelte Mutterlaus (3), die gerade aus der Geburtsöffnung eine Junglaus halb herausgepresst hat (1), dahinter eine schon geborene Junglaus (2).


Und eine Blattlausmama und ihr Kind:



11. Rüsselkäfer bohren gerne Früchte an und bedienen sich dank ihres langen Rüssels an dem nährstoffreichen Inhalt. Ein rezentes Beispiel wäre der Rapsschotenrüssler, ein gefürchteter landwirtschaftlicher Schädling. Aber auch im Bernsteinwald werden Rüssler diese Möglichkeit der Nahrungsbeschaffung genutzt haben: Frucht mit Bohrloch.


12. Symbiosen sind Beziehungen zwischen zwei artfremden Lebewesen zu gegenseitigem Nutzen. Ein gutes Beispiel kann jeder im Garten beobachten: überall, wo Blattlauskolonien sich angesiedelt haben, da laufen auch Ameisen die Stengel herauf. Sie betrillern die Läuse bis sie einen zuckerhaltigen Saft abgeben, den die Ameisen gierig aufnehmen. Kommt man mit dem Finger etwas dichter heran, dann könnte man erwarten, dass die Ameisen weglaufen. Im Gegenteil: sie stellen sich abwehrend "auf die Hinterbeine", um ihre Läuse zu schützen - ihr Beitrag zu dieser Symbiose.
So ist es vielleicht kein Zufall, dass in diesem Inklusenstein zig Läuse und eine Ameise gemeinsam ihr Grab gefunden haben.